Proudly made on earth

5 Jahre floffimedia.de / Digitale Illusionen

Typewriter

CC-BY-NC-SA: Qian

In bestimmten Situationen ist eine gewisse Portion Selbstzweifel durchaus angebracht. Sie helfen, Abstand und einen klaren Blick zu gewinnen. Zum Beispiel, wenn ich seit Wochen keinen einzigen Satz in diesem bescheidenen Blog publiziert habe; anfange, mein eigenes Design zu bemängeln, und keine genaue Vorstellung davon habe, wie die Dinge denn eigentlich weitergehen sollen. In solchen Momenten frage ich mich regelmäßig, warum ich die ausgefallene Beschäftigung des Bloggens denn überhaupt aufgenommen habe. Warum ich stets ein wenig ratlos über Sinn und Nutzen dieser Seite bin, aber trotzdem nicht von ihr ablassen kann. Und mit diesen Zweifeln bin ich nicht allein.

2012 war ein Jahr, in dem sich unter der Bloggerschaft große Ernüchterung breitmachte. Es schien so, als komme der Einfluss der großen Social-Media-Plattformen auch hierzulande endlich zum Tragen und mache die meisten individuellen Unabhängigkeitsbestrebungen überflüssig. 2012 war ein schlechtes Jahr für das selbstgehostete Blog. Tatsächlich kam es so schlimm, dass Sascha Lobo sich gezwungen sah, einen energischen Warnruf an die Netzgemeinde zu schicken: »Euer Internet ist nur geborgt.« Das begeisterte Echo der Netzgemeinde ließ nicht lange auf sich warten. Fast bekam man das Gefühl, der große Run auf die Hoster würde nun endlich beginnen. Nach dem nächsten Katzenvideo schienen aber all diese Bestrebungen aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden zu sein und es wurde munter weitergetwittert.

Die echten Blogs scheinen dagegen sowohl zahlenmäßig als auch in Sachen Ausstoßvolumen immer weiter geschrumpft zu sein. So sehr, dass beispielsweise die einst geachteten Blogcharts schon lange wegen Irrelevanz eingestellt wurden. Die deutsche Blogosphäre stand zwar kurzzeitig wieder einmal im Rampenlicht, doch die Schlagzeilen waren nicht gerade positiv. Eine Abmahnwelle zog durchs Land. Spiegel Online berichtete über »Bilder, Blogger und eine Morddrohung;« sogar Urgesteine der deutschen Blogosphäre flüchteten sich in die radikale Löschung alten Bildmaterials; andere ergriffen selbst die juristische Initiative und versuchten so, gegen die zweifelhafte Praxis mancher Agenturen und Anwälte vorzugehen.

Wie soll man schon für die technische Selbständigkeit argumentieren, wenn man nebenan bei Tumblr genauso erfolgreich bloggen kann, sich aber Monat für Monat die Kosten für den eigenen Server spart und gleichzeitig ein wesentlich niedrigeres Risiko eingeht, anwältliche Schreiben im Briefkasten vorzufinden? Und das Problem betrifft nicht nur die, die der Meinung sind, der ganzen Welt etwas Wichtiges mitteilen zu müssen, also nicht nur Menschen wie mich. Die Angelegenheit berührt selbstverständlich auch jene, die einem abgemahnten Seitenbetreiber in den Kommentaren ein “Selber schuld!” entgegenwerfen und sich dann wieder zu Facebook verziehen. Wir alle können von einer diversen Medienlandschaft nur proftieren. Wir brauchen Blogs.

Das Oligopol der deutschen Zeitungsverlage mag zwar wirtschaftlich angeschlagen sein, zeigt uns mit seiner Kampagne für das geplante Leistungsschutzrecht aber eindrücklich, wie viel Einfluss die Presse noch immer auf Öffentlichkeit und Politik ausübt. Eine Gruppe von Verlegern schafft es also ohne größere Probleme, ein Gesetz durchzubringen, das niemand möchte und niemandem nutzen wird, das aber ganz im Gegenteil immensen Schaden anrichten kann. Stefan Niggemeier bezweifelt, dass ein Leistungsschutzrecht den Verlagen nennenswerte Einnahmen bringen könnte, sieht aber eine ganz andere Motivation: Die dauerhafte Verknüpfung von Journalismus und Presseverlagen. Kommen wir zum ersten, unüberschätzbaren Vorteil eines eigenen Blogs, nämlich der ökonomischen Eigenständigkeit.

Allem Anschein zum Trotz gibt es sie nämlich, auch hier in Deutschland: Menschen, die von ihren persönlichen Online-Publikationen leben können. Kleine Ein-Mann-Unternehmen, unangepasste Denkfabriken, die ihr Publikum durch Authentizität anlocken. Menschen, die selbst entscheiden können, in welchem Maße sie ihr eigenes Ding verfolgen möchten und wie sehr sie sich von den Regeln des Marktes leiten lassen wollen. Überhaupt halte ich es für einen Irrglauben, dass keine Nachfrage für hochwertige Inhalte bestehen soll. Die Krise der Zeitungen zeigt doch gerade, dass die Leser des angestaubten, trockenen Redaktionsstils, der immer noch gerne als Qualitätsjournalismus verkauft wird, längst überdrüssig sind. Jeder, der unkonventionelle Wege geht, kann doch eigentlich nur erfolgreich sein.

Eine neuartige, gerne auch provokative Gegenöffentlichkeit kann aber nicht bestehen, wenn sie auf Plattformen setzt, die ihre eigenen Regeln schreibt und jederzeit erbarmungslos eingreifen kann. Die ihre Normen und Werte so tief in unserem Unterbewusstsein verankert haben, dass die Zensoren kaum noch einschreiten müssen, weil schon viel früher die Schere in unserem Kopf greift. Was, wenn wir Aufnahmen aus Krisengebieten nicht zu sehen bekommen, weil sie einem US-amerikanischen Monopolisten zu brutal sind? Wenn uns künstlerische Fotos verborgen bleiben, weil sie zu viel Haut zeigen? Wenn die besten Texte gar nicht erst geschrieben werden, weil den Autoren bewusst ist, dass sie zu anstößig sind, um dauerhaft online zu bleiben?

Die Möglichkeiten für selbstständige, unzensierte, hochwertige Blogs scheinen also beinahe grenzenlos zu sein. Nur, wo sind sie? Wo ist das deutschsprachige Äquivalent zu The Verge, das mit der Berichterstattung über eine bestimmte Sparte neue Standards für die ganze Branche setzt? Wieso gibt es hierzulande keine alternativen Kulturmagazine wie beispielsweise Pitchfork? Kein jugendliches Versuchslabor à la Madbury Club? Keine Nerds, die in ihrem speziellen Interessensgebiet zu Meinungsführern aufsteigen, wie beispielsweise John Gruber? Warum gibt es nicht einmal Bestrebungen, hochklassige Interviewsammlungen wie The Great Discontent oder The Photographic Journal auch in diesem Land zu etablieren? Wieso folgt kein größerer Aufschrei, wenn Veröffentlichungen ab einem bestimmten Erfolgsgrad nur noch auf Englisch publizieren, weil sie den heimischen Markt sowieso schon abgeschrieben haben? Beunruhigt es niemanden, dass amerikanische Techblogs nach Europa strömen und auf fast keine Gegenwehr stoßen?

Wenn man sich den größeren Zusammenhang vor Augen führt, dann verdeutlicht das Scheitern der Blogs auch das Scheitern jegliches anderen Onlinemediums in diesem Land. Dann müssen wir feststellen, dass ausgerechnet von denjenigen, die sich mit Vorliebe über das Aussterben der Zeitungen amüsieren, noch niemand eine bessere Publikation auf die Beine gestellt hat. Es ist ein Leichtes, zu resignieren und die gute alte Zeitung als letzte Bastion des öffentlichen Diskurses zu verteidigen. Die Unausgereiftheit bietet aber auch ihre eigenen Chancen. So etwas wie die Huffington Post muss hierzulande nicht passieren. Wir können das auch besser hinbekommen. Wer trägt also die Schuld dafür, dass wir noch nicht weiter sind? Ganz klar: Es muss am sozialen Klima liegen.

Deutschland ist digitales Entwicklungsland. Hier wird alles, was nicht auf Kassetten gespeichert oder auf Papier gedruckt wird, noch immer als neues Medium bezeichnet und genauso schief angesehen wie vor zwanzig Jahren. Die Gesellschaft ist tief gespalten und die Fraktion, die den Vorreitern der digitalen Ära bedingungslos beisteht, erschreckend klein. Was ist mit der Welt außerhalb unserer Filterblase, die wir nur allzu oft übersehen? Das ist ein merkwürdiges Volk: Ein Volk, dem weder Stillstand noch Veränderung so richtig gefallen will, ein Volk der Nörgler und der Grantler. Eine Nation, die mehr Angst vor dem Scheitern als Mut zu Experimenten besitzt und folglich allen das Leben schwer macht, die versuchen, den Status quo zu ändern.

Es bleibt nur, jedem Neuanfang viel Mut zuzusprechen. Hören wir auf damit, als notorische Eigenbrödler einsam vor uns hinzuarbeiten. Erfolgreich kann nur sein, wer sich vernetzt und kooperiert. Beginnen wir öfter etwas Neues, auch wenn noch völlig unklar ist, ob wir mehr als fünf Menschen davon begeistern können. Schlagen wir Pfade ein, die noch niemand vor uns beschritten hat. Verkaufen wir das, was wir mit Herzblut geschaffen haben, nicht länger weit unter seinem Wert, damit einige wenige Agenturen davon profitieren können. Bleiben wir unabhängig und veröffentlichen wir auch Dinge, bei denen wir nicht sicher sind, ob wir uns am nächsten Tag nicht fürchterlich dafür schämen werden. Nehmen wir uns endlich wichtiger und dafür weniger ernst. Wir brauchen Blogs. Wir alle.

Florian Lehmuth
31. Januar 2013
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