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Serienwahn: Misfits

Misfits Powers

»Weißt du, meistens sehe ich zur Unterhaltung und Ablenkung fern, da muss es dann nicht immer so anspruchsvoll sein,« wurde mir einst so oder so ähnlich entgegnet, als ich wieder einmal Breaking Bad oder Mad Men predigte und die Reaktionen eher in Richtung Scrubs oder Californication divergierten. Damals konnte ich diese Aussage nicht verstehen. Wenn schon telemediale Bestrahlung, dann doch wenigstens der allerbesten Sorte, mehrschichtig, schwer verdaulich, Anregung für eigene Gedanken und Interpretation, oder etwa nicht? Heute sehe ich das etwas anders. Natürlich kann Fernsehen auch einmal stumpfsinnig sein, leicht aufgenommen und schnell wieder vergessen werden, bestenfalls vielleicht sogar einem schlechten Tag ein gutes Ende verleihen.

Meiner Erfahrung nach eignen sich in solchen Fällen am besten diejenigen Formate, die sich selbst am wenigsten ernstnehmen. Misfits ist exakt so eine Serie. Auf den ersten Blick gibt es so viel auszusetzen, dass Personen wie mein Über-Ich es wahrscheinlich gar nicht erst über die anfänglichen Minuten hinausgeschafft hätten. Alleine schon auf der visuellen Ebene: Orange Jumpsuits treffen auf brutalistische Betonkulisse, übersättigte Farben kollidieren mit untersättigten und abgerundet wird das ganze mit einem künstlich nachtgeahmten Tilt-Shift-Effekt. Dann diese Schauspielerin, die – vorsichtig ausgedrückt – ästhetisch eher weniger reizvoll ausfällt. Der Plot, der an einem feuchtfröhlichen Abend innerhalb weniger Minuten auf einem Pappdeckel niedergeschrieben worden scheint.

Bei näherer Betrachtung stellt sich dann aber heraus: Misfits ist genau wie das Teenagerleben selbst, quirlig, unvernünftig, hormongeschwängert, radikal. Die Handlung scheint sogar fast plausibel, wenn man sich einfach vorstellt, sie sei von einer handvoll Jugendlichen konzipiert worden, die beim Brainstorming ohne großes Nachdenken ihre kühnsten Fantasien zusammengeworfen haben. Die Geschichte dreht sich um fünf junge Straftäter, die zu gemeinnütziger Tätigkeit verurteilt worden sind. An ihrem ersten Arbeitstag zieht ein gewaltiges Unwetter auf; die Protagonisten können dem Blitzschlag nicht entkommen und sind anschließend verwandelt. Nach und nach erkennt sich jeder im Besitz von Superkräften, die von enorm nützlich bis unheimlich unpraktisch variieren.

Die Ironie beginnt, als sich die ersten Leichen auftürmen. Es zeigt sich nämlich schnell, dass die fünf Teenager nicht die einzigen sind, die mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet wurden. Von den anderen nutzt nicht jeder seine Kräfte nur für friedliche Absichten. Die Misfits handeln nur zu ihrer Selbstverteidigung, ganz klar. Sie sind aber von der Gesellschaft bereits in eine Ecke gedrängt worden, aus der es kein glaubwürdiges Entkommen als unschuldige, Notwehr übende Opfer mehr gibt. Der Zwang der Umstände führt die fünf zu einem Leben im Untergrund, umgeben von einem immer dichter werdenden Netz aus Lügen. Obwohl aus den Kleinkriminellen Superhelden wurden, sind sie dazu verdammt, auf ewig in ihren orangen Anzügen Müll aufzusammeln; obwohl sie schon lange auf die falsche Seite des Gesetzes geraten sind, sind ausgerechnet sie es, die doch immer wieder für so etwas wie Gerechtigkeit in ihrem begrenzten Universum sorgen.

Der Schauplatz ist so bedrückend wie passend zugleich. Am Southmere Lake befindet sich tatsächlich ein Community Centre, das als Drehort fungiert. Am anderen Ufer des Sees ragen vier markante Hochhäuser in den Himmel, die die prekäre Lage Ostlondons nie in Vergessenheit geraten lassen. Die Trostlosigkeit findet ihre Metapher in den nicht enden wollenden Massen aus Beton, die man nur mit sehr viel Vorstellungskraft Zuhause nennen kann. Inmitten der Grautöne wohnen junge Menschen ohne Geld, alte Menschen ohne Geld, auf jeden Fall aber immer kümmerliche, welke Existenzen, die so deplatziert wirken wie die spärlichen Grashalme in den Ritzen des Asphalts. Hier endet aber auch schon jeder Ansatz von Sozialkritik, denn im Vordergrund steht selbstverständlich das Vergnügen.

So spielt sich also meistens genau das ab, was von einer solchen Sendung auch erwartet wird: Ein wildes Feuerwerk aus Action und Gefühlen, eine Achterbahnfahrt zwischen überschwänglicher Selbstüberschätzung und knallhartem Kontakt mit der Realität. Der Humor ist derb und sehr direkt, man kann ihm aber dennoch eine gewisse Eleganz nicht verleugnen. Das gilt besonders für Robert Sheehan, der als unreifes Ekel Nathan einen hervorragenden Job abliefert. Seine Zeilen sind messerscharf, aber auch maßgeschneidert und werden mit schauspielerischer Bravour vorgebracht. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass diese überbordende Komik etwas verdecken soll, einen tiefersitzenden Schmerz. Weltschmerz könnte man ihn nennen.

Mit der Zeit stellt sich dann endgültig der Verdacht ein: Irgendwie muss das Erwachsenwerden bei den Briten härter sein als hierzulande. Das müsste ja schon aus der bloßen Menge an Coming-of-Age-Shows gefolgert werden, die auf der Insel produziert werden. Ich kann an kein einziges Beispiel aus dem deutschsprachigen Fernsehraum denken, aber der Erfahrung nach enden dort alle Versuche, sich Jugendlichen einfühlsam zu nähern, mit hochnotpeinlichen Resultaten, die niemand sehen will. Natürlich kann niemand leugnen, dass es auch in diesem Land in niedrigerem Ausmaß Jugendarbeitslosigkeit, ungewollte Schwangerschaften und Drogenprobleme gibt, aber hören und sehen kann man davon höchstens bei den Privatsendern, wo dann auch viel gelacht und ein bisschen fremdgeschämt werden darf. Die allgemeine Perspektivlosigkeit der Heranwachsenden hat also in Großbritannien eine viel stärkere Verankerung im öffentlichen Bewusstsein, entspringt aber auch einer umso deprimierenderen statistischen Realität.

Obwohl ich eingangs noch von Unterhaltung und Ablenkung schrieb, sind wir wieder bei weitaus unschöneren Themen angekommen. Das war so nicht geplant, sollte aber auch nicht entmutigen: Gerade diese Serie meistert den Spagat zwischen Sachlichkeit und Albernheit ganz fabelhaft. Man kann berechtigterweise von leichter Kost sprechen, denn viel Substanz steckt hinter der Geschichte nicht. Manchmal muss es aber eben auch nicht mehr sein als ein paar abgestandener Klischees und Lacher, die von anderen abgeerntet wurden. Dahinter steckt eine Botschaft, die es sich weitertragen lohnt: Egal wie hart es kommen mag, es gibt sie, die unbeschwerten Momente. In jeder Jugend.

Zum Schluss noch eine gutgemeinte Warnung: Der Status quo wird bei Misfits nicht lange aufrechterhalten, vor allem, was die Besetzung betrifft. Der Wechsel verläuft nicht so vorhersehbar wie bei Skins, aber dadurch wirken die Brüche, die entstehen, um einiges natürlicher. Natürlich ist es schade, wenn etablierte Figuren aus dem Plot geschrieben werden, weil die Darsteller ihren Charakteren entwachsen sind oder schlichtweg Raum für Veränderung geschaffen werden soll. Gerade bei dieser Serie klappt die Neubesetzung aber erstaunlich gut. Misfits soll bei E4 noch in diesem Jahr mit einer fünften Staffel fortgesetzt werden, in synchronisierter Fassung findet man die ersten drei Staffeln auch völlig kostenlos bei MyVideo.

Florian Lehmuth
28. Februar 2013
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