Proudly made on earth

Ein toter Pionier

Banksys TV

CC-BY-SA: Edward Bishop

Es war uns allen klar, dass es irgendwann einmal so weit kommen würde. Kino.to war zu komfortabel, um dauerhaft bestehen zu können. Der aus rechtlicher Perspektive graue bis dunkelgraue Bereich des Internets ist davon geprägt, sich ständig weiterzuentwickeln und fortzubewegen. Auf bestimmte Server kann kein dauerhafter Verlass sein, auf Domains schon gar nicht. Gerade deshalb musste das uns allen liebgewordene Kino.to sterben. Weil es jedem gehörte, nicht nur ein paar blassen, pickligen Nerds, eben keine »widerliche Ansammlung an digitalen Junkies und vor Ekel bibbernden Typen in langen Mänteln« darstellte, wie mancher vermutet. Es war einer der ersten Ansätze für die Portierung des Fernsehens ins weltweite Netz, ohne wie YouTube sofort unter dem Druck von Rechteinhabern einzuknicken. Vier Millionen Nutzer pro Monat wären eine gigantische Einschaltquote für ein einziges, noch dazu webbasiertes Angebot.

Nein, auch das Design war nicht so übel, wie von einigen Seiten proklamiert. Vor allem nüchtern und schlicht, im Laufe der Zeit wurde es zudem ständig optimiert. Wer sich an ein paar (mitunter geschmacklosen) Werbeeinblendungen stört, soll zur Mediathek seines öffentlich-rechtlichen Lieblingssenders zurückkehren. Wer nicht mit falschen Play-Buttons und imitierten Fehlermeldungen umgehen kann, soll einfach iTunes starten und schon mal seine Kreditkarte zücken. Die Usability aber hatte zuletzt ein Niveau erreicht, wie man es sonst nur von kostenpflichtigen Angeboten kennt – oder von legalen. Die neueste Staffel einer Serie ist noch nicht in deutscher Synchronisation erschienen? Ein Klick, und man kam zur englischen Version mit deutschen Untertiteln. Megavideo ließ sich als favorisierter Hoster definieren, schon musste man sich nicht mehr mit den verwirrenden DivX-Streams herumschlagen. Und gerade der Katalog war einfach fantastisch. An manche Titel kommt man auf juristisch einwandfreiem Weg schlichtweg nicht heran.

Ein paar wenige Betreiber verdienten sich eine goldene Nase mit fremden Inhalten, das hört man jetzt überall. Moment mal, ein kleiner Kreis macht im großen Stil Geschäfte mit Fremdcontent, diese Geschichte kommt mir doch bekannt vor. Ach richtig, Apple betreibt diese Strategie ja schon seit Jahren. Moralische und gesetzliche Integrität hat also einen ziemlich exakt bestimmbaren Preis von rund 70% der Einnahmen. Wer weiß, ob die Betreiber von Kino.to und diverser Filehoster auf solch ein Angebot nicht auch eingegangen wären, wenn die Industrie sie mit Verträgen anstatt einem polizeilichen Sonderkommando adressiert hätte? Wer hätte noch vor ein paar Jahren vermutet, dass sicht The Pirate Bay je um Legalisierung bemühen würde?

Natürlich macht man es sich mit solche Schwarzweiß-Skizzen sehr einfach. Auch ich sehe eine grenzwertige Video-on-Demand-Seite nicht so uneingeschränkt positiv, wie es bisher vielleicht den Anschein hat. Das laue Gefühl des falschen Handelns bleibt bei jedem Stream, für den man nichts bezahlt hat, bei jedem Kinofilm, den man schon am Tag nach seiner Premiere auf dem heimischen Rechner konsumiert. Vor allem aber bringt man Menschen, die etwas unterstützenswertes kreiert haben, das man schätzt und refinanzieren möchte, um ihre wohlverdienten paar Cent. Die möchte ich ihnen aber ebensowenig zukommenlassen, indem ich nebenher eine marode “Verwertungsindustrie” am Leben erhalte (Kollateral-Sponsoring, sozusagen), wie ich glaube, dass Piraterie als konstruktive politische Haltung dienen kann. Allein, es fehlt bisher die Plattform, die den Mittelweg beschreitet. Unser Vertriebsmodell ist das Internet: Unparteiisch, direkt, einfach. Und das Internet ist bei weitem nicht kostenlos. Crowdfunding steht im Filmbereich noch ganz am Anfang, während es auf anderem Gebiet schon eine beachtliche wirtschaftliche Größe darstellt. Werbung reicht als einzige Einnahmequelle für größere Projekte nicht aus. Doch was ist mit all denjenigen, die Geld für Premium-Accounts bei Filehostern ausgeben, weil sie ihre Videos direkt auf der Festplatte haben möchten, anstatt sie erst nach drei DVD-Trailern und fünf Lizenzhinweisen abspielen zu können?

Die GVU wäre also totzdem am besten beraten, wenn sie ihre Anzeige fallen ließe und den dreizehn Personen, die unter dem Verdacht der »Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerblichen Begehung von Urheberrechtsverletzungen in über einer Million Fällen« stehen, Arbeit bei TV-Netzwerken und Vertriebsgesellschaften vermitteln würde. Deutschland braucht sein Hulu. Denn dass die Beschuldigten kriminelle Energie besitzen dürften, ist das eine. Viel größer dürfte jedoch ihr Engagement, ihre Ideenvielfalt und Kreativität sein.

Florian Lehmuth
9. Juni 2011
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