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Serienwahn: Black Mirror

© Channel 4

Erst kürzlich habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, wie unterpräsent die digitale Wirklichkeit in unserer Alltagskultur nach wie vor ist. Es scheint so, als habe der technologische Fortschritt unser aller Bewusstsein einfach komplett überrollt. Man könnte ohne Probleme Bücher über Twitter-Revolutionäre, YouTube-Stars oder Facebook-Romanzen schreiben und doch findet die reflexive Betrachtung neuer technischer und medialer Möglichkeiten noch immer nur in einer Minderheit statt. Eine Veränderung dieses Zustands ist wohl langfristig nur durch einen entsprechenden Paradigmenwechsel in Bildung und Erziehung zu erreichen. Auf der anderen Seite genügt oftmals aber auch schon ein kurzer, überspitzter Blick in eine fiktive Zukunft, um den öffentlichen Diskurs anzuheizen und das Bewusstsein für ein bestimmtes Thema zu schärfen: Man rufe sich nur einmal in Erinnerung, wie wegweisend ein 1984 sein kann, gerade, weil es mit aller Härte zuschlägt.

Charlie Brooker, britische TV-Koryphäe, hat für Channel 4 die dreiteilige Miniserie Black Mirror geschaffen, in der ein düsterer Blick in nicht weit entfernte Zukunft geworfen wird. Die erste Episode, “The National Anthem”, ist unserer Gegenwart am nächsten und deshalb vielleicht auch am interessantesten. Prinzessin Susannah, vielgeliebtes Mitglied der Königlichen Familie, wird entführt und verliest in einem YouTube-Video die Erpresserbotschaft ihres Kidnappers. Darin wird Premierminister Michael Callow beim Leben der Prinzessin aufgefordert, vor den Augen der Welt live auf allen Fernsehkanälen einen höchst unanständigen Akt zu verüben. Was dann folgt, ist nicht nur ein erstklassiger Einblick in den Medienzirkus, sondern auch unverblümte Gesellschaftskritik. Es entspricht Brookers schwarzem Humor, den Täter die Geschehnisse rückblickend als “erstes großes Kunstwerk des einundzwanzigsten Jahrhunderts” bezeichnen zu lassen.

Ein wenig gemäßigter geben sich dagegen “15 Million Merits” und “The Entire History Of You”. In erstgennanter Folge spielt sich der Lebensinhalt einer Sci-Fi-Gesellschaft darin ab, mit Hometrainer die benötigte Energie für den Betrieb der Umwelt zu erzeugen. Statt Geld gibt es für Leistungen aller Art ein Punktesystem. Die einzige Möglichkeit, aus dem System auszubrechen, stellt eine Castingshow dar, für deren Teilnahme 15 Millionen Punkte benötigt werden. Hervorzuheben ist die darstellerische Leistung Daniel Kaluuyas, der unter all den großartigen Schauspielern der Serie noch einmal besonders hervorsticht. Man kennt ihn vielleicht noch aus Skins, wo sein Beitrag weniger in der stereotypischen Verkörperung des Posh Kenneth liegt, sondern vielmehr in seinen Verdiensten als Drehbuchautor hinter den Kulissen.

Die letzte Folge beschäftigt sich mit den Konsequenzen, die die vollständige Aufzeichnung des eigenen Lebens aus der Egoperspektive für sich selbst und für andere hätte. Es werden Einflüsse auf das Berufs- und Privatleben angeschnitten, doch insgesamt steht das persönliche Scheitern der Protagonisten aneinander im Vordergrund. Hier wird deutlich, dass allgemeines Misstrauen und die Herrschaft der Angst nicht durch ein “System” geschürt werden müssen, wenn sich die Menschen nur von selbst gegenseitig überwachen. Ein sehr heftiges Finale, das einen noch stärker trifft als die Episode davor, weil es alle positiven Aspekte rigoros ausblendet und dabei auch noch gar nicht weit vom Heute entfernt ist.

Black Mirror besticht durch seine Konsequenz: Hier wird nichts beschönigt, verharmlost oder frühzeitig abgebrochen. Dass dieser pessimistische Blick in die Zukunft – der Name kommt nicht von ungefähr – ebenfalls bewegend sein kann, möchte ich nicht leugnen; doch trotz allem dürfen wir nicht vergessen, tagtäglich gegen die SOPAs, PIPAs und ACTAs dieser Welt zu kämpfen, die uns mit kleinen Schritten solchen Dystopien immer näher bringen. »A twisted parable for the Twitter age« nennt der Sender die Serie, und um bei Orwell zu bleiben: Ein knappes Jahrhundert später könnte Animal Farm ungefähr so aussehen.

Channel 4 hat Black Mirror schon im Dezember 2011 ausgestrahlt, doch ihr findet die Serie auch nach wie vor auf YouTube. Danke an René und Marcel für den Tipp!

Florian Lehmuth
30. Januar 2012
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